Vergangenen Sonnabend wurde das Occupy-Protestcamp vor dem Reichstag brutal von der Polizei geräumt. Doch die Aktivisten geben nicht auf. Jeden Tag, 17:00 Uhr, treffen sie sich auf der Wiese vor dem Parlament. Stück für Stück wollen sie sich ihren Protest erarbeiten. Witzig, aber nicht als Spaß.

In New York, wo die Proteste im September begannen, ist Occupy längst eine Massenbewegung mit Tausenden Besetzern. In Berlin sind die meist jungen Protestierer noch ganz am Anfang. Einige Dutzend sitzen im Kreis, diskutieren. Wenn jemand etwas sagt, wiederholten es alle im Chor. Das nennen sie „Asamblea“. Was das genau ist, muß erst mal geklärt werden.“Asamblea heißt meines Wissens Versammlung. Weil wir aber keine Versammlung sind, weil wir sonst weggetragen würden, sind wir eine zufällige Ansammlung von Individuen, die hierarchiefrei da sind“, sagt einer.

Tatsächlich beschränkt sich die Polizei darauf, Parolen zu notieren; verbietet lediglich Zelte und Campingutensilien.

Eine Asamblea besteht offenbar auch aus teils putzig anmutenden Handzeichen. Winken nach oben bedeutet Zustimmung, Arme über Kreuz ist Veto und ein angedeutetes Viereck meint, der Redebeitrag weicht vom Thema ab. „Soll ich die Zeichen noch mal erklären? Brauchen wir vielleicht zusätzliche Zeichen?“, fragt ein Mädchen. Ja, sie muß noch mal erklären.

Für eine halbe Stunde teilt sich der Diskussionskreis in Arbeitsgruppen auf. Es wird diskutiert, ob doch Zelte vor dem Reichstag durchsetzbar sind. Oder man man lieber außerhalb der Bannmeile zelten soll. Ob es eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen geben kann.

Eine Teilnehmerin, die offenbar aus der linksradikalen Szene stammt, hat „ein Problem damit, daß wir nicht deutlich Sexisten und Rassisten ausschließen“. Einen „konkreten Fall“ von „Sexismus und Rassismus“ habe sie hier aber noch gar nicht erlebt. Es wird also nicht ausgeschlossen.

Es wird deutlich: Occupy ist noch lange nicht fertig, will es auch noch nicht sein. Der Protest erarbeitet sich selbst. Tag für Tag.

Von Martin Müller-Mertens